Kein Angst vor der Angstzone
Veränderungen können aufregend sein und motivieren oder auch beängstigend und bedrohlich wirken. Wie kommt es zu diesem scheinbaren Widerspruch und wie schaffe ich es, lösungsorientiert und handlungsfähig zu bleiben?
Wie kommt es überhaupt dazu, dass ich meine Komfortzone verlasse?
Manchen Menschen scheinen Veränderungen und völlig neue Situationen nichts auszumachen, während andere schon eine Vollkrise bekommen, wenn der Bus fünf Minuten später fährt.
Zum einen gibt es natürlich unterschiedliche Persönlichkeitstypen und Erfahrungen. Je öfter ich herausfordernde, neue Situationen gemeistert habe und diese für mich reflektiert habe, desto gelassener, zuversichtlicher oder planvoller gehe ich in jede Veränderung. Und dann kommt es natürlich auch noch darauf an, wie ich in die neue Situation komme. Es gibt vor allem zwei Möglichkeiten, die Komfortzone zu verlassen: freiwillig oder unfreiwillig.
Die vier Zonen
Du hast sicherlich schon einmal das idealtypische Zonenmodell des Erfahrungs- und Kompetenzausbaus und der Persönlichkeitsentwicklung gesehen. Das sieht so aus:
KOMFORTZONE: Kontrolle, Gewohnheit, Sicherheit, Routinen
ANGSTZONE: Unsicherheit, Ausreden, Abbruch, Ablehnung, Vermeidung, Flucht, Lähmung, „blinder“ Aktionismus, Fight or Flight, Irrationalität
LERNZONE: Neue Skills, Erfahrungen, Selbstvertrauen, Optimismus, Handlungsfähigkeit, Zonenausbau
WACHSTUMSZONE: Zielerreichung, Sinnfindung, Selbstsicherheit, Zufriedenheit. Neue Komfortzone
Beim freiwilligen Verlassen der Komfortzone verspüre ich einen inneren Drang nach Veränderung, mehr Wissen oder größerer Entwicklung. Ich überwinde relativ schnell Ängste und Bedenken (wenn sie denn überhaupt da sind) und stürze mich, plan- und vertrauensvoll, ins Abenteuer. Die Merkmale der modellhaften Angstzone äußern sich dann gegebenenfalls darin, dass ich mich an Abläufen und Regeln reibe. Es wird sich aber kaum etwas nach Panik oder Angst anfühlen. Ich habe mitunter auch gar nicht das Gefühl, meine Komfortzone überhaupt zu verlassen. Es ist also weniger eine Angst-, als eine Umstellungszone. Hier gilt es durchzuhalten, um z.B. neue Routinen in den Alltag zu integrieren.
Ich will hier weg
Werde ich unfreiwillig aus der Komfortzone geschubst, geschieht das meistens durch einen äußeren Impuls, wie Jobverlust, unfreiwillige Versetzung, die COVID-19-Pandemie oder aber auch, und relativ langsam, durch die Klimakrise. Ich habe es mir nicht freiwillig ausgesucht und stehe vor vollendeten Tatsachen. Im Survival wird die Angstzone deshalb auch Panikzone genannt. Etwas dramatischer ausgedrückt, befinde ich mich in einer Überlebenssituation. Und dieses Bild hilft auch weiter, um handlungsfähig zu bleiben.
Beim freiwilligen Verlassen der Komfortzone führen die ersten ernsthaften Widrigkeiten in der Angstzone oft zum Abbruch, wenn der Wille nicht stark genug oder der Sinn nicht mehr erkennbar ist. Beim unfreiwilligen Verlassen funktioniert ein Abbruch in aller Regel nicht. Ich muss mich also weiter entscheiden. Ich kann die Situation natürlich einfach verdrängen und ablehnen oder etwas radikaler ausgedrückt – innerlich verleugnen. Es ändert sich dadurch aber nichts an der Ausgangslage, nur ich tue so, als gäbe es die Situation nicht. Die Konsequenz kann dann aber umso fataler sein.
Genauso verhält es sich mit der Irrationalität und einer gewissen Kopflosigkeit durch Aktionismus. Im Survival ist das der Moment, wo der Rucksack zurückgelassen wird, um schneller voranzukommen oder nur mal schnell den Weg auszukundschaften, bis ich nicht mehr zurückfinde. Im Rucksack waren aber noch die Jacke, etwas Wasser und Proviant …
Irrationalität ist aber auch der Versuch, mit den bisher bekannten und vertrauten Mitteln eine Herausforderung zu lösen, durch die die Situation überhaupt entstanden ist. Noch irrationaler ist die Hoffnung, dass mittels Zufall oder Technologien, die noch erfunden werden müssen, in angemessener Zeit eine Lösung für mein oder ein gesellschaftliches Problem gefunden wird.
Was kann ich also tun, um die Angstzone zu meistern?
Zunächst einmal sollte die Situation und damit die Angstzone erkannt, angenommen und akzeptiert werden. Zumindest dann, wenn es keinen oder nur einen sehr weiten Weg zurück gibt. Und dann ist es hilfreich, so schwierig es klingt, einen Gang herunterzuschalten und innezuhalten und Dir viele Fragen zu stellen. Wovor hast Du Angst? Welche Fragen gibt es? Was sind Deine Sorgen? Was ist die unmittelbare Gefahr? Was weißt Du über die Situation? Wer könnte mir helfen?
Dann kannst Du anfangen, die Situation zu bewerten. Ist die Angst aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit vergleichbaren Situationen berechtigt? Ist sie existenzbedrohend oder lebensgefährlich?
Denke mutig, plane überschaubar und bleibe flexibel
Du kannst Dir also zunächst einmal alles aufschreiben, was Dich zu der Situation beschäftigt und Deine Erfahrungen und Dein Wissen über ähnlichen Situationen abrufen. Gönne Dir dann ein richtiges Brainstorming – was könnten Lösungen für Dich sein. Bewerte zunächst nichts nach Realismus und Durchführbarkeit. Anschließend fragst Du Dich, was das Wichtigste im Moment ist. Was kannst du alleine lösen, wo brauchst Du Unterstützung und woher bekommst Du diese? Dadurch ergibt sich fast automatisch ein Ranking und am Ende ein konkretes Ziel.
Plane immer nur wenige Schritte und warte die Konsequenz oder sich auftuenden Gelegenheiten ab, um dann reagieren zu können und Dich auf die Situation anzupassen. Sonst bist Du schnell bei einem riesigen Masterplan, der quasi eine Komfortzone in der Angstzone ist, aber keine Störungen verzeiht und Dich daran hindert, zügig durch die Angstzone zu kommen.
Ich komme alleine nicht weiter und nun?
Der Umgang mit Veränderungen, ob freiwillig oder unfreiwillig, ist abhängig von Deinen bisherigen Erfahrungen und damit einem Vertrauen in einen Veränderungsprozess und von Ausprägungen Deiner Persönlichkeit. Bin ich ein sehr sicherheitsorientierter Mensch und brauche Routinen oder bin ich sehr spontan und gewohnt, flexibel zu reagieren?
Gehen wir zunächst einmal von den persönlichen, also Dich direkt betreffenden Krisen aus. Scheue dich nicht, um Hilfe zu bitten und andere nach ihren Erfahrungen oder Lösungen mit vergleichbaren Situationen zu fragen. Oder hole einen Expertenrat ein, z. B. durch Beratungsstellen, Ärzte, Psychologen und informiere Dich umfangreich durch seriöse Quellen.
Ein Beispiel: Jobverlust ist sicher eine der häufigeren Krisen, die je nach beruflicher Perspektive und finanzieller Sicherheit auch sehr bedrohlich sein kann. Habe ich Fragen zum Arbeitslosengeld hilft es eher, zunächst Informationen auf der Website der Arbeitsagentur zu lesen und mich anonym von der Hotline beraten zu lassen, als mich in diversen Foren umzusehen. Vieles ist hier aus dem Kontext gerissen und teilweise auch einfach falsch. Es geht hier oft vielmehr um Trost und das Gefühl, nicht alleine zu sein. Es ändert aber nichts an der Handlungsunfähigkeit.
Schwieriger sind sehr große, gesellschaftliche und langfristige Krisen, wie die Klimakrise oder politische Krisen. Die Veränderungen mögen für uns marginal klingen und die Folgen haben wir selber wahrscheinlich noch nicht erlebt. Hier brauchen wir größeres Abstraktionsvermögen und es ist eine Situation, die wir nicht alleine bewältigen.
Hüte Dich vor allzu einfachen Lösungen
Jede Krise und aus Angst vermiedene Situation wird mittelfristige Konsequenzen haben und als ersten Schritt empfiehlt es sich, zu reflektieren. Wovor habe ich Angst, wie kann ich meinen Beitrag zur Bewältigung leisten? Je länger ich der Komfortzone verharre und hoffe, dass sich die Situation von alleine löst, desto härter und unkomfortabler wird das Erwachen in der Angstzone.
Wesentlich ist die Annahme der Fakten und nicht das Verleugnen der Tatsachen. Je komplexer die Zusammenhänge, desto eher neigen wir dazu, einfache Lösungen zu favorisieren. Und es gibt nicht wenige, die das wissen und ausnutzen. Vereinfacht kann hier gesagt werden: Komplexe Situationen verlangen differenzierte Betrachtungen und Lösungen.
Wenn Du bei dem Versuch der Lösung für Deine Angstzone im Alltag immer wieder am Ausgangspunkt ankommst und Dir selbst oder Dein Umfeld ein Denken „out of the box“ nicht zugestehst, dann kann Dir beispielsweise ein Coaching eine Möglichkeit sein, um Deine Handlungsfähigkeit wiederzuerlangen.
Die Zone gemeistert
Die Zone gemeistert hast Du, wenn Du in eine Handlungsfähigkeit und zu Vertrauen in Dich und Deine Fähigkeiten kommst. Du hast verstanden, wie die Regeln der neuen Situation sind. Du bist jetzt in der LERNZONE. Es gibt noch unklare Dinge, es sind noch Entscheidungen offen, aber Du bist Dir ziemlich sicher auf Deinem Weg. Kleine Unwägbarkeiten und Störungen siehst Du als Aufgaben, die es auf dem Weg zu Deinem neuen Ziel zu lösen gilt. Dein persönliches „Ökosystem“ wird stabiler. Du hast die Prinzipien verstanden und lernst, Dich frei zu bewegen und auch einmal abzuweichen, ohne Dein Ziel oder Deine Vision aus den Augen zu verlieren.
Ein wichtiges Instrument ist nun auch die Selbstreflexion. Was habe ich (über mich) gelernt? Was würde ich beim nächsten Mal anders machen? Welche Gefühle und Bedürfnisse haben mich zu Handlungen veranlasst. Das ist dann das Feld Deiner Persönlichkeitsentwicklung und der Stärkung Deiner Resilienz und Du kannst Deine Erfahrungen auf ähnliche Situationen adaptieren und die Angstzone schneller hinter Dir lassen.