Ganz häufig, wenn es um gesunde Ernährung, neue Produkte und den Sprung raus aus der kulinarischen Komfortzone geht, höre ich: „Aber Essen soll ja auch Spaß bringen!“.
Kann also gesundes Essen keinen Spaß bringen? Kann Essen denn überhaupt Spaß bringen? Schauen wir uns mal an, wie der Duden „Spaß“ definiert:
- ausgelassen-scherzhafte, lustige Äußerung, Handlung o. Ä., die auf Heiterkeit, Gelächter abzielt; Scherz
- Freude, Vergnügen, das man an einem bestimmten Tun hat
(Quelle: https://www.duden.de/rechtschreibung/Spasz, abgerufen am 6.4.2021)
Hmm, Punkt 2 würde ja irgendwie passen. Keine Frage – Essen ist emotional: Die Zubereitung des Essens kann „Spaß“ bringen, uns also erfüllen und Vergnügen bereiten. Liebevoll angerichtetes Essen in Gemeinschaft bringt uns Freude. Das Essen selbst darf gut schmecken und einen hohen Genusswert haben. Genau da liegt aber auch der fatale Knackpunkt.
Ein kurzer Ausflug in die Vergangenheit
Essen war über Jahrtausende der Menschheitsgeschichte vor allem eine absolute Notwendigkeit und bestimmt nicht immer die geschmackliche Explosion. Oft bitter, kaum süß. Viele Kräuter und Wildpflanzen, wildes Obst, Nüsse, Beeren, Honig und Fleisch – bestimmt auch mal von frischem Aas. Essen musste uns zuallererst ernähren und mit der notwendigen Energie für die Aufrechterhaltung unserer Körperfunktionen und der Lebensaufgaben versorgen. Immerhin fast 3.500 Kalorien pro Tag. Ziel war es auch mehr Kalorien zu sich zu nehmen, als für die Suche verbracht wurde. Der Rest von hochwertigen Nahrungsangeboten speichert der Körper als Fett. Wir sind im Vergleich zu vielen Tierarten eine sehr fette Spezies und können dadurch auch Hungerphasen recht gut überstehen. Nahrungssuche war eine Hauptaufgabe des täglichen Lebens und je nach Angebot, Glück und vorhandenen Vorräten dauerte sie wohl im Schnitt 7 Stunden. Essen war bestimmt aber auch immer schon ein Ausdruck von Verbindung, Ritual und Gastfreundschaft, wenn die Vorräte geteilt wurden oder Zeremonien begleitet wurden.
Warum werde ich nicht satt?
Heute ist unser Geschmackssinn durch das Nahrungsüberangebot und viele günstige und ultraprozessierte Produkte ziemlich dekalibriert. Wir gieren nach Umami und Süße. Alles muss starken Geschmack haben. Die Nahrungsmittelindustrie feuert dieses Verlangen an, durch verschleierte Zugabe von Zucker, und dem Bedienen von „optimalen“ (für den Menschen als wohlschmeckend empfundenen) Verhältnissen von Kohlehydraten zu Fett (z.B. in Kartoffelchips). Eine hohe Nährstoffdichte, bei gleichzeitiger Eliminierung von sättigenden und damit die Geschmacksdichte „verdünnenden“ und für die Industrie teuren Ballaststoffen und Proteinen, verführt zu hoher Kalorienaufnahme. Gleichzeitig wird unser Protein-Sättigungsmechanismus durch herzhafte Aromen und viel Salz in die Irre geführt. Es geht der Industrie nicht um Sättigung, sondern darum, viel zu verkaufen. Gleichzeitig bedient Süße unser Belohnungssystem. Wir haben verschiedene Sättigungsmechanismen, der wichtigste ist aber die Proteinsättigung. Ideal ist ein Proteinanteil von 15 – 18 % in jeder Mahlzeit. Bei ausreichend Eiweiß im Essen, idealerweise in Kombination mit Ballaststoffen, stellt sich ein starkes Sättigungsgefühl ohne übertriebenes Völlegefühl ein. Ist der Proteinanteil zu gering, isst Du einfach weiter, der Körper möchte schließlich das Ziel von ca. 15 % erreichen. Das geht so lange, bis die Rezeptoren der Magendehnung anspringen. Es passt nichts mehr in Dich hinein. Jetzt kommt zum Tragen, ob Du gerade Lebensmittel mit geringer Energiedichte und hohem Ballaststoffanteil gegessen hast (z.B. Gemüse) oder hochkalorische Lebensmittel.
Schokolade – jetzt, SOFORT
Bei Stress verlangt unser Körper oft nach etwas Süßem. Eigentlich dient dieser uralte Mechanismus der Bereitstellung von schnell verfügbarer Energie durch Einfachzucker für Kampf oder Flucht. Nur sind die Stressverursacher in aller Regel nicht mehr lebensgefährlich. Unser Körper ist aber immer noch an die Gefahren durch Überfälle, Raubtiere und gefährliche Umweltbedingungen angepasst.
Ein weiterer Mechanismus – das z.T. sehr lange Kauen – wird ebenfalls ausgeschaltet, indem viele Nahrungsmittel und Versuchungen weich sind und eigentlich nicht mehr gekaut werden müssen. Hochkalorisches Essen wird, oft viel zu schnell, nebenher am Schreibtisch eingenommen. Es fehlt das wertschätzende und bewusste Essen.
Getränke sind gesüßt und mit Geschmack versetzt, Wasser wird als fade wahrgenommen. In der Folge haben viele Menschen verlernt, Durst von Hunger zu unterscheiden. Wenn Du also gerade etwas zu Dir genommen hast und das Gefühl hast, Du müsstest schon wieder essen, trinke erst einmal ein Glas Wasser. Wahrscheinlich war es nur Durst.
Dadurch, dass unsere Sensorik also immer mehr Geschmack braucht, um den Genusswert zu befriedigen, weil weniger intensive und geschmackverstärkte Speisen als lasch empfunden werden, steigt die Gefahr des Überessens und der Verlust des Essinstinkts.
Wenn der Geschmackssinn wieder in einen normalen Bereich justiert wird und der Ess- und Trinkinstinkt wieder normalisiert werden, erweitert sich die Welt um viele gesunde Speisen zu einem neuen und natürlichen Genusserlebnis und das bringt viel Freude.